Doerte Letzmann
Klodin Erbs Atelier liegt in einer Gegend, in der man zunächst keine Künstlerinnen vermutet. In Zürich Altstetten, zwischen Bank-Neubauten und Fitnessstudios, arbeitet die Künstlerin in einem Raum in der zweiten Etage eines von aussen nichtssagenden Gewerbegebäudes.
Hier herrscht aussen Büroästhetik, aber drinnen auf den ersten Blick volle Künstlerinnenromantik. In dem spärlich möblierten Raum regiert ein Durcheinander von Farbtöpfen und Dosen und Pinseln und Farbflecken, die bezeugen, dass hier ein kreativer Geist am Werk ist. Man kann erahnen, wie Erb hier auf dem Boden die kräftigen Pinselstriche setzt, die ihre Malerei charakterisieren. Selbst eine Sitzecke mit altem Ledersofa ist von Farbtupfern übersät.
Aber Erb verwehrt sich einer romantischen Darstellung des unkonventionellen Künstlerinnenlebens. Sie wolle gar nicht, dass man das Atelier so zeige, sagt sie. Denn sie schöpfe nicht aus dem Chaos, das sei dem Platzmangel geschuldet. Das Atelier ist einfach ihre Werkstatt. Und darin, so erfahren wir später, arbeitet sie am liebsten ohne Publikum.
Von Schaffhausen geprägt
Erbs Werke wurden bereits in zahlreichen nationalen und internationalen Einzel- und Gruppenausstellungen von Zürich bis New York gezeigt. Sie ist für ihre Malerei bekannt, aber sie arbeitet auch installativ.
Ihre Bilder zeigen oft klassische Motive: Porträts, Stillleben, Interieurs, der Pinselstrich ist heftig, manchmal grob und löst das Gegenständliche fast auf. So reduziert sie etwa in ihrem Werk «Beste Freundinnen» von 2008 die zwei dargestellten Figuren auf das Wesent- liche und lässt diese dadurch fragmentiert wirken.
Auch im Museum zu Allerheiligen in Schaffhausen werden Erbs Bilder immer wieder ausgestellt. «Klodin Erbs Beziehung zur Malerei gleicht einer ambivalenten Liaison, die spielerisch, ernsthaft und nachdenklich zugleich ist», war 2008 im begleitenden Katalog zur Ausstellung «Das Mädchen, der Bär, das Tier auf dem Möbel» zu lesen.
Erb ist nicht nur über das Museum mit Schaffhausen verbunden, sie lebte auch knapp zwanzig Jahre hier. Geboren wurde sie 1963 in Winterthur, sie wuchs in Rheinau auf, zog aber als Jugendliche mit ihrer Mutter nach Neuhausen. Und hier entschied sie sich für die Kunst, sagt sie, denn besonders prägend sei ihre Zeit an der Kantonsschule gewesen. «Dort wurde ich von einigen Lehrpersonen wirklich gefördert und ermutigt», erzählt sie.
In Schaffhausen blieb die Künstlerin dann bis Mitte dreissig und pendelte nach Zürich während ihrer Ausbildung an der Zürcher Hochschule der Künste, auch, weil Schaffhausen günstiger zum Leben war. «Ich hielt mich mit mehreren Jobs über Wasser», erinnert sie sich. Und sie organisierte Malkurse in ihrem Atelier.
Das lag zunächst über dem Taptab, danach zog sie in ein Atelier im Mühlental um, als sie mehr Platz brauchte. Diese Jahre seien produktiv gewesen, und nicht nur wegen der Malerei. Sie war auch, so erzählt sie, sehr aktiv in der Musikszene, organisierte Konzerte und kreierte Outfits für Bands. Für einen Plattenlaunch produzierte sie sogar einmal eine Lichtshow im Hallenbad.
Frauen in der Kunst
Das Subversive, das Umstürzlerische, das sie an der Musikszene liebt, das übertrug sie aber in ihr künstlerisches Schaffen. Erb war lange Zeit aktiv in der Künstlerinnengruppe mit, die mit Aktionen, Happenings und Performances im «Betriebssystem Kunst» intervenierten, um Ungleichheiten deutlich zu machen.
«Wir gingen als Hostessen verkleidet an Vernissagen», erzählt Erb, «um aufzuzeigen, welche Rolle Frauen in der Kunstwelt haben.»
Diese Rolle war meist prekär: Erb nennt das Beispiel der bedeutenden Schweizer Malerin Helen Dahm (1878 – 1968), der lange Zeit keine Anerkennung zuteil wurde. In Oetwil am See ist der Künstlerin inzwischen ein Museum gewidmet, und noch bis zum 31. Oktober sind dort im Rahmen der Ausstellung «Zwei Dahmen» Werke von Dahm und Klodin Erb zu sehen.
Dass Frauen in der Kunst weniger gefördert wurden, ändere sich langsam, bestätigt Erb. Sie erzählt von ihrer Rolle als offiziellen Logo auf dem Umschlag zunächst für einen Steuerbescheid gehalten, erzählt sie.
Nicht nur diese Episode zeigt: Der Erfolg
ist Erb nicht zu Kopf gestiegen. Sie ist völlig unprätentiös. Sie fährt mit dem Fahrrad ins Atelier, nutzt den ÖV mehr als das Auto und sagt über ihre Wohnung am anderen Ende der Stadt, dass sie «klein und übersichtlich» sei.
Mentorin an der Hochschule Luzern Abteilung Design und Kunst und davon, dass inzwischen überwiegend Frauen Kunst studieren.
Vielleicht ist das ein Grund, warum Klodin Erb nicht nach einem Erfolg stehen bleibt, sondern ihre Arbeit immer weiterentwickelt. Die Jury des Meret-Oppenheim-Preises formuliert es so: «Ausruhen auf dem Erreichten gibt es für die Künstlerin nicht.»
Früher, gibt sie zu, waren jedoch ausschliesslich Männer ihre künstlerischen Vorbilder. «Es gab keine anderen», sagt sie etwas verschmitzt. Ihre heutige Inspiration: Meret Oppenheim, Vivian Suter, Lucy Dodd oder Tracey Emin.
Die Forscherin
2021 bekam eines von Klodin Erbs Vorbildern, Vivian Suter, selbst den höchsten Kunstpreis der Schweiz verliehen. Dass aber Erb jetzt den Meret-Oppenheim-Preis bekommt, hat sie selbst überrascht. Sie habe den Brief von der eidgenössischen Kunstkommission mit dem Auch erklärt es, warum Klodin Erb von sich selbst sagt, sie sei eine Forscherin, die nach dem Neuen suche. «Mein Prozess beginnt im Kopf», erklärt sie. Das bezeugen ihre Bilder, die oft nachdenklich und analytisch wirken und an die Substanz der Kunst gehen. In ihrer Werkserie Orlando, die auf dem gleichnamigen Roman von Virginia Woolf basiert, beschäftigt sie auch die Frage: Was ist über- haupt ein Porträt? Dabei wird sie philosophisch: «Das Porträt ist immer eine Symbiose zwischen der dargestellten Person und der Künstlerin», sagt sie.
Unter die Haut
Abseits der Theorie berühren Erbs Bilder aber auch emotional. Ihre neueste Serie Under the Skin geht dabei tatsächlich unter die Haut. Nackte Gestalten sind auf Japanpapier gemalt und geklebt und wirken gleichzeitig schön und irritierend.
Sie habe sich bei ihrer Entstehung von der Frage leiten lassen, wie wir in 20 Jahren aussehen, erläutert die Künstlerin. Die Menschheit werde immer mehr von der Robotik vereinnahmt, da dränge sich die brennende Frage auf: «Wie lange haben wir noch Sex?» Die Bilder sollen deswegen «subversiv und sexy» zugleich sein. Wenn Erb schnell und assoziativ und trotzdem sehr überlegt über ihr Sujet spricht, dann erkennt man die Forscherin, die Beobachterin in ihr.
Aber Erbs Bilder gehen auch in einem anderen Sinn unter die Haut: «Malerei ist ein sinnliches Medium», stellt die Malerin fest. Und das Malen ein «performativ sinnlicher Akt». Plötzlich wird klar, warum sie im Atelier für sich sein will.