Sie versteht sich als Forscherin. Deswegen erstaunt Klodin Erbs Bemerkung bei unserem Atelierbesuch wenig, dass sie mit Film male. Genau dieses Andie-Grenze-Treiben und Ausloten von Medien prägt ihre Arbeit. Und es ist die Malerei, diese traditionelle und historisch behaftete Gattung der bildenden Kunst, die sie durch ihre Praxis auf die Spitze treibt und damit in die Gegenwart katapultiert.
Auch in ihrer neusten Videoarbeit mit dem klingenden Titel «Johnny Woodhead and the Nightmärlies» begegnen wir gemalten Bildern, die regel- recht zu leben scheinen. Was dort temporeich daherkommt, entpuppt sich als tiefsinnig, radikal und irritierend. Klodin Erbs eigenwilliges Œuvre zeugt von der Unbeirrbarkeit der Künstlerin, die sich nie um Moden scherte. Nun wird die Schweizer Künstlerin mit dem Prix Meret Oppenheim 2022 ausgezeichnet.
Geboren in Winterthur und aufgewachsen in Schaffhausen, zog Klodin Erb nach Zürich, wo sie von 1989 bis 1993 Malerei an der Hochschule für Ge- staltung und Kunst (heute ZHdK) studierte. Der klassischen Malerei kehrte sie allerdings kurz nach ihrem Abschluss den Rücken und zerstörte all ihre Gemälde. Sie begann mit objekthaften Stoffarbeiten zu experimentieren.
Verkleidung und Maskerade
Doch genaugenommen steckte ihr die Malerei immer noch im Kopf. Ihre Blu- menarrangements aus Stoff etwa, die zurzeit in einer Ausstellung im Dialog mit Werken der Zürcher Künstlerin Helen Dahm (1878–1968) zu sehen sind (Helen-Dahm-Museum in Oetwil am See, bis 31. Oktober), sind nämlich nichts anderes als dreidimensionale Blumenbil- der. Schon in diesen frühen installativen Arbeiten macht sich Klodin Erbs Wunsch bemerkbar, starre Strukturen der Kunst mit den Mitteln der Kunst aufzubrechen.
Nach der Jahrtausendwende mischte sie die damals noch etwas kulturlahme Zwinglistadt als Teil des Künstlerinnen- kollektivs mit auf. Mit Performances, Aktionen und Happenings in temporär leer stehenden Räumen griffen die Künstlerinnen soziologische Themen auf. Dass sie das mitunter in Stewardess- kleidung gewandet taten, war Teil der impliziten Kritik etwa an der Vorstellung, dass Frauen adrett aussehen, «zudienen» und doch bitte keine Kunst machen sollen. Die harmlos wirkende Mas- kerade zielte allerdings mitten ins Herz einer gesellschaftlichen, politischen und künstlerischen Debatte, deren Früchte erst heute geerntet werden können.
Das Thema Verkleidung wird in seiner Explosivität unterschätzt, zu Un- rechtman denke an die Fasnacht, die in der Geschichte wiederholt zum Schauplatz von Umbrüchen wurde. Und Klodin Erb weiss das: Sie verhandelt Identität, Geschlecht und Zugehörigkeit häufig über Kleidung, gerade in ihren Videoarbeiten, wo sie auch schon ein- mal als Zitrone verkleidet aufgetreten ist. Das ist nicht einfach lustig, es geht der Künstlerin vielmehr um das Freilegen einer verborgenen, verdrängten und absurden Traumwelt. In der Nacht sehe sie manchmal, wie ihre Arbeiten aussehen müssten, sagt sie im Gespräch.
Doch in diesem unkontrollierbaren Moment unseres Daseins liegt auch etwas Gefährliches. In Erbs Werk begegnen sich das Märli und der Nightmare nicht nur im Titel des obengenannten Videos. Sie interessiert sich für das Auf- einandertreffen disparater Elemente so- wie für das Potenzial und die Energie von Verwandlung – Dinge, die eben vor allem in der Kunst möglich sind.
Auch im Video «Johnny Woodhead and the Nightmärlies» spielen Maske und Maskerade eine zentrale Rolle. Für den überdimensionalen Holzkopf, den sie darin trägt, liess sie sich von einer historischen Fasnachtslarve inspirieren. Noch etwas zeigt diese Arbeit ganz deut- lich: Klodin Erbs Neigung zum Sampeln und Zitieren. Sie bedient sich mit einer schamlosen Unverblümtheit im Fundus der Kunstgeschichte, aber ebenso in ihrem eigenen Werk.
Dadurch erfindet sie sich als Künstlerin immer wieder neu und erneuert das Medium Malerei. Das Collagie- ren von Schichten und Geschichten macht sie in besagtem Video implizit zum Thema und führt ihr Publikum mit umwerfendem Charme in die Herstel- lung von Kunst ein. «So mache ich das», scheint sie uns zu sagen, wenn sie beim Ausschneiden von Schmetterlingen aus einem Plastiktischtuch zu sehen ist, die dannschwupsauf einem grossformatigen Gemälde landen oder auf einem ihrer wechselnden Kostüme. Dass sie sich selber zitiert, ist nicht etwa eine Form von Narzissmus, sondern beweist im Gegenteil ihre Experimentierund Risikofreudigkeit. Nichts scheint stillzustehen, alles kann sich ändern.
Kultur und Natur
So entdecken wir in ihrem Atelier eine Reihe von Arbeiten aus der Serie «Kräfte und Säfte» (2021), in denen sie wundersame, tanzende Mischwesen aus Menschen und Wurzelgemüsen auf transluzides Japanpapier gemalt hat. Diese Bilder hat sie kürzlich weiterver- arbeitet: Nun werden die Wurzelwesen von ausgeschnittenen und collagierten Fotografien aus Hochglanzmagazinen und irisierender Lackfarbe überlagert. Fashion-Girl trifft auf Phantasiewesen, Kultur auf Natur, Futuristisches auf Archaisches: Die Gewissheiten ver- schwimmen.
Genau dieses Schillernde fasziniert an Klodin Erbs Werk. «Under the Skin» heisst die derart transformierte Arbeit jetzt. Und damit nimmt Erb auf das Trä- germedium Bezug, das beinahe haut- artig wirkt. Aber sie benennt hier auch das, was Kunst kann: unter die Haut gehen. Und damit den Alltagsrahmen sprengen.
Das tut Erb im wortwörtlichen Sinn seit der Werkgruppe «Nach der Land- schaft» (2014), wo die Umrisse der grossformatigen Gemälde an amorphe Gesteinsstrukturen erinnern. Das hat seinen Grund: Im Kontext einer Aus- stellung im Aargauer Kunsthaus durfte Klodin Erb einen Künstler aus der Sammlung auswählen. Ihre Wahl fiel auf den Landschaftsmaler Caspar Wolf (1735–1783), der auch Höhlen zu seinen Sujets zählte. Was wir auf Erbs Bildern sehen, ist gleichsam der Blick aus der Höhle nach draussen. Diese Überlage- rung von Innen- und Aussenwelt, von Bildtradition und Gegenwart steht sinn- bildlich für Klodin Erbs Reprogrammie- rung von Tradiertem.